Zusammenschluss mit Geisenheim

Der Zusammenschluss mit Geisenheim

 

Fusion im demokratischen Geist
     
Der freiwillige Zusammenschluss von Johannisberg und Geisenheim vollzog sich nicht nur nahtlos, sondern auch in einem ausgesprochen demokratischen Geist. Obwohl die hessische Gemeindeordnung bestimmt, daß bei einer Fusion die bestehenden Gemeindegremien wegfallen und die Amtsgeschäfte der neuen Kommune von Staatsbeauftragten erledigt werden, fanden die beiden Vertragspartner einen Weg, die gewählten Mandatsträger auch nach dem Zusammenschluss in die Entscheidungen einzubinden. Sie bildeten einen Beirat, der sich aus der bisherigen Stadtverordnetenversammlung Geisenheim und der Gemeindevertretung Johannisberg zusammensetzte, und schufen ein ähnliches Gremium für die Belange des Magistrats aus Geisenheimer Stadträten und Johannisberger Beigeordneten. Die so gebildeten Beiräte konnten zwar keine rechtsverbindlichen Beschlüsse fassen, aber dem jeweiligen Staatsbeauftragten - der Johannisberger Christian Labonte war für die Belange des Parlaments, der Geisenheimer Bürgermeister Konrad Braden für den Magistrat eingesetzt - Empfehlungen aussprechen, die dieser dann umsetzte. Das Verfahren bewährte sich. Dieses Geisenheimer Modell, das eigenartigerweise nirgendwo sonst im Rheingau nachgeahmt worden ist, ermöglichte es übrigens, auf eine im März 1972 anstehende Nachwahl der städtischen Körperschaften zu verzichten. Die Interimszeit zwischen der Fusion am 1. Januar 1972 und den im Oktober anstehenden regulären Kommunalwahlen konnte auch so demokratisch überbrückt werden. Die Bürger schon früher zu einer Wahl von Gremien aufzurufen, die ohnehin nur für ein halbes Jahr im Amt gewesen wären, hielten sowohl die Geisenheimer als auch die Johannisberger für wenig sinnvoll. Vor allem aber ersparten sich die politischen Parteien einen Wahlkampf in den ersten Wochen der neuen Stadt.

Und auf Harmonie waren die beiden Kommunen von den ersten Verhandlungen über einen freiwilligen Zusammenschluss an bedacht. Vor allem wohl auch deshalb gelang es den Partnern, sich in Rekordzeit auf das Zusammengehen zu einigen. Im November 1970 hatten sich die Johannisberger erstmals Gedanken über einen freiwilligen Zusammenschluss gemacht. Schon acht Monate später, im Juli 1971, stimmte die Gemeindevertretung dem Grenzänderungs- und Auseinandersetzungsvertrag zu, am 1. Dezember sollte die neue Stadt Geisenheim aus der Taufe gehoben werden. Allerdings verzögerte sich dieser Termin, weil der Rheingaukreis und die hessische Landesregierung mit ihren notwendigen Zustimmungen dem vorgelegten Tempo nicht folgen konnten.

Den guten Geist, in dem Gespräche zur Fusion geführt wurden, kennzeichnet am besten eine Anmerkung des Vorsitzenden der Johannisberger Gemeindevertretung, Christian Labonte (CDU), bei der Beratung des Grenzänderungsvertrags. Man solle nicht von einem Auseinandersetzungsvertrag sprechen, denn das weise auf etwas Trennendes hin. Der Vertrag solle vielmehr das Verbindende betonen.

In der von beiden Parlamenten ratifizierten Vereinbarung garantierte die neue Stadt Geisenheim den Johannisbergern nicht nur das Fortbestehen einer eigenen Freiwilligen Feuerwehr, die Pflege der Verschwisterung mit der französischen Gemeinde Puligny-Montrachet, wofür in jedem künftigen Haushaltsplan ein stattlicher Betrag eingestellt werden solle, und den Ausbau der Zufahrt zum Kloster Marienthal, sondern versprach auch, dass die durch die Fusion zu erwartenden erhöhten Schlüsselzuweisungen zu zwei Dritteln in das Weindorf fließen sollten.

 

     

Die Johannisberger verzichteten überraschenderweise zunächst darauf, daß die neue Stadt ihren Namen tragen sollte. Das warum so erstaunlicher, als der Name Johannisberg weltweit wesentlich bekannter war als der Geisenheims. Als Wiege der Spätlese war Johannisberg und speziell sein Schloß ein Begriff für die Weinkultur. Johannisberg hatte mithin eine größere Tradition im Weinbau vorzuweisen als Geisenheim, das sich in Fachkreisen mit seiner Lehr- und Forschungsanstalt erst in den zurückliegenden 125 Jahren einen Ruf erworben hatte. ,Johannisberger" war in vielen Ländern der Welt eine Sammelbezeichnung für den Rheinwein schlechthin. Nirgendwo sonst widmeten die Winzer bereits in den 50er und 60er Jahren der Kulturgeschichte des Weins, der Förderung des Qualitätsgedankens und des Weinabsatzes so viel Aufmerksamkeit wie in Johannisberg. Die 1946 gegründete Weinkritik ist noch heute eine Vereinigung der Winzerschaft, die auch im Ausland auf höchste Anerkennung trifft. Nirgendwo im weitem Umkreis gibt es so viele Denkmäler, die einem Bezug zum Weinbau haben, wie beispielsweise das 167 von Anton Haust geschaffene Winzerinnen-Denkmal im Johannisberger Grund. 1955 hatten einige Betriebe unter dem Namen "Johannisberger Klosterpförtche" den Versuch gestartet, einen Markenwein in den Handel zu bringen, lange bevor die Mosel mit dem "Goldenen Oktober" Schlagzeilen machte.

 

Aushängeschild der Johannisberger aber ist ihr Schloß, das, seit es 1817 in den Besitz der Familie Metternich-Winneburg gelangt war, zum Treffpunkt des Hochadels avancierte. Im Rheingau erinnert man sich noch heute der glanzvollen Besuche des persischen Schahs Reza Pahlewi mit der Kaiserin Soraya im Mai 1955 und seiner zweiten Visite sechs Jahre später mit Farah Dibah. 1958 war die Begum in Johannisberg zu Gast. Wenige Tage, nachdem die Johannisberger Gemeindevertretung die Fusion mit Geisenheim beschlossen hatte, besuchte die niederländische Königin Beatrix das Schloß. Dessen Gästebuch liest sich wie ein „Who is Who" all jener, die in der Regenbogenpresse damals für Lesestoff sorgten.

 

Zwar hatten die Johannisberger darauf bestanden, dass ihr Ortsname wenigstens als Stadtteilname und auch postalisch erhalten bleiben müsse. Und sie hatten verlangt, dass bei einer Fusion mit weiteren Gemeinden auch Geisenheim seinen Namen aufgeben und durch einen ersetzen lassen müsse, in dem das Wort „Rheingau" vorkomme. Ein wenige Wochen vor dem Zusammenschluss unternommener Versuch, den Doppelnamen Geisenheim Johannisberg durchzusetzen und dafür den Grenzänderungsvertrag noch einmal zu ändern, scheiterte jedoch an der hessischen Landesregierung. Die hatte eine abgrundtiefe Abneigung gegen Doppelnamen und lehnte das Ansinnen ab.

 

Die Beschlüsse zum Zusammenlegen der Standesämter und der Gemeindekassen zum 1. Februar 1971 bildet nur den äußeren Anlass, für erste Gespräche in Johannisberg über einen freiwilligen Zusammenschluss mit Geisenheim. Der tiefere Grund war vielmehr, dass das Weindorf finanziell ziemlich am Ende war. Bürgermeister Theodor Speth, ein aus Limburg stammender Verwaltungsfachmann und seit 1960 Chef im Rathaus, musste in der Novembersitzung 1970 als eine Art Strohhalm sogar eine Satzung zur Erhebung von Vergnügungssteuern vorlegen, obwohl klar war, dass damit keine wesentliche Verbesserung der Haushaltslage zu erreichen war.

Die Finanznot der Gemeinde lag in der Infrastruktur des Dorfes begründet: keinerlei Industrie und damit kaum Einnahmen aus der Gewerbesteuer und eine in drei Gemeindeteile zerfallende Besiedelung, die enorme Probleme bei der Versorgung mit Wasser und der Abwasserbeseitigung nach sich zog. Obwohl, wie geschildert, Johannisberg Ziel zahlreicher Prominenter Besucher war, spielte es im Fremdenverkehr so gut wie keine Rolle. Auch die Bemühungen, die 1967 einsetzten, um das staatliche Prädikat eines Erholungsortes zu erhalten, brachten dem Tourismus keinen nennenswerten Aufschwung. Restlos übernommen hatte sich die Gemeinde mit der Ausweisung der Schloßheide als Baugebiet. Die vorhandenen Trinkwasservorkommen reichten nicht aus, um die weit über 1 000 neuen Bewohner zu versorgen. Das Kanalnetz maßte erneuert werden, weil dessen ursprüngliche Dimensionen nicht auf eine solche Expansion ausgelegt waren. Hinzu kam, dass Geisenheim seinen nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Stadtteil Marienthal über eine Leitung entwässerte, die im Johannisberger Grund auf einen völlig überlasteten Hauptsammler traf, der von der Schoßheide und dem Ortsteil Flecken das Abwasser zur Kläranlage am Rüdesheimer Hafen transportierte. Die hohen sechsstelligen Beträge für die Sanierung der Wasserversorgung, einschließlich einer Versuchsbohrung im Schafstal und des Baus eines neuen Hochbehälters für die Schloßheide, überforderten das Weindorf. Im Oktober 1970 sprach Speth zum ersten Mal von einer „beispiellos schlechten Finanzlage" der Gemeinde. Sogar für die Erweiterung des Kindergartens fehlte das Geld.

     

Vor diesem Hintergrund fanden im März 1971 sowohl mit Geisenheim als auch mit Winkel Gespräche über einen freiwilligen Zusammenschluss statt. Beide verliefen in einem ausgesprochen freundschaftlichen Klima

In Winkel gingen jedoch, wie noch zu schildern sein wird, die Meinungen darüber auseinander, ob die Gemeinde einer Fusion mit Geisenheim und Johannisberg den Vorzug vor einem freiwilligen Zusammenschluss mit Mittelheim und Oestrich geben sollte. Während die SPD die Zukunft Winkels im Westen sah und für ein Bündnis rund um den Brückenkopf der projektierten Rheinbrücke Geisenheim-Ingelheim warb, plädierte die CDU für einen Zusammenschluss zur Großgemeinde Oestrich-Winkel.

Geisenheims Bürgermeister Konrad Braden kam das Werben der Johannisberger gelegen. Der gebürtige Bingener, gelernter Verwaltungsfachmann und Berufssoldat, hatte 1948 die Nachfolge von Lorenz Werthmann als Chef im Geisenheimer Rathaus angetreten. Braden, als Jagdflieger im Zweiten Weltkrieg schwer verletzt, war unbestreitbar ein Mann der Tat, der Probleme nicht nur schnell erkannte, sondern auch Wege, sie zu lösen, ersann und auch verwirklichte. Innerhalb weniger Jahre schaffte es Braden, die nach dem Krieg vor allem im Geisenheim unvorstellbar große Wohnungsnot durch die Gründung der gemeinnützigen Baugenossenschaft in den Griff zu bekommen. In seiner Amtszeit entstand in Marienthal ein ganz neuer Stadtteil, wurde die Mittelweg-Siedlung um die Heidestraße errichtet. Innerhalb weniger Jahre wuchs Geisenheim, früher eher im Schatten von Eltville und Rüdesheim stehend, zur größten Rheingauer Stadt heran.

Parallel dazu förderte Braden im Krieg aus Berlin und Essen ausgesiedelte Betriebe wie Fritz Werner und die Premag und machte Geisenheim zum bedeutendsten Industriestandort im Rheingau.

Darüber hinaus bemühte sich der Bürgermeister auch um die Reputation der Stadt über die Ausstrahlung hinaus, die Geisenheim dank der in Fachkreisen weltbekannten Lehr- und Forschungsanstalt zweifellos bereits besaß. Um die deutsch-amerikanische Verständigung voranzubringen, ließ Braden in Geisenheim eine Longfellow-Gemeinschaft gründen, die als Gruppierung innerhalb der deutschen Steuben-Schurz-Gesellschaft eine besondere Auszeichnung stiftete: die Longfellow-Glocke für Verdienste um die deutsch-amerikanische Versöhnung. Der amerikanische Dichter hatte in einem Werk über seine Europareise auch den Rheingau beschrieben und dabei das Geläut des Rheingauer Doms besungen. Zu ersten Preisträgern dieser Auszeichnung, die mit keinerlei finanziellen Vergünstigungen verbunden war, wurden gemeinsam der frühere amerikanische Hochkommissar für Deutschland, John J. McCloy, und Bundespräsident Theodor Heuss gewählt.

Als die Auszeichnung im September 1954 verliehen wurde, kam McCloy zwar nicht persönlich in die Lindenstadt, wurde aber vom amerikanischen Botschafter Conant vertreten. Der Bundespräsident dagegen war erschienen und nahm auf dem mit deutschen und amerikanischen Fahnen geschmückten Platz vor dem Rheingauer Dom in Anwesenheit zahlreicher hessischer Minister die Auszeichnung entgegen. Braden freute sich noch viele Jahre später, welches Echo die Verleihung dieses Preises in der Weltöffentlichkeit gefunden hatte.

Vier Jahre danach ging die Longfellow-Glocke an den früheren französischen Ministerpräsidenten Robert Schumann und den amerikanischen Senator John William Fulbright. Die Verleihung fand diesmal in weitaus kleinerem Rahmen im Sitzungssaal des Rathauses statt: Beide Preisträger hatten ihr Kommen wegen der „gegenwärtigen politischen Verhältnisse" abgesagt. Zum dritten und bisher letzten Male wurde die Longfellow-Glocke 1963, wiederum gemeinsam, dem einstigen Kulturreferenten beim Hochkommissar für Deutschland, Professor Burns, und dem ersten hessischen Kultusminister Dr. Franz Schramm verliehen. Schramm, der später in Geisenheim lebte, war Vorsitzender der Longfellow-Gemeinschaft gewesen. Bei der ersten und zweifelsfrei spektakulärsten Preisverleihung hatte es übrigens einige Mühe gekostet, um bei der Laudatio auch die Bedeutung des amerikanischen Dichters gebührend herauszustellen zu können. Der Bundespräsident hatte deshalb über die amerikanische Botschaft in den USA Informationen einholen lassen müssen. In Deutschland war der Dichter kaum bekannt.

Einen weiteren Coup, seine Stadt im öffentlichen Ansehen aufzuwerten, startete Geisenheims Bürgermeister Konrad Braden mit dem Jagd-Flieger-Ehrenmal im Rhein. Wieder gelang es ihm, den Namen der Stadt in aller Munde zu bringen, als im Oktober 1959 das Denkmal von einstigen Fliegergeneral Adolf Galland enthüllt wurde. Es solle „allen toten Kameraden gewidmet sein, die irgendwo in der Welt, gleich welcher Nation oder Rasse, ihr Leben gaben", sagte der Exgeneral während der Feierstunde in den Rheinanlagen. Zur Einweihung des Denkmals waren neben Bundeswehr Generälen auch Militärattaches mehrerer diplomatischer Missionen der NATO-Länder erschienen.

Doch Konrad Braden war auch ein Mann der politischen Alleingänge, in dessen Amtszeit es wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem Parlament kam. Einen ersten Höhepunkt erreichten die Grabenkämpfe im November 1957, als sieben Stadtverordnete der CDU und je zwei der FDP und des BHE ihre Mandate niederlegten und die drei Parteien auch ihre Stadträte aus dem Magistrat zurückzogen. Anlass dafür war, dass Braden sich über Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung entweder hinweggesetzt oder sie ignoriert haben sollte. Daraufhin waren die städtischen Körperschaften auf Dauer beschlussunfähig, eine kommunale Nachwahl musste stattfinden. In der kandidierten die drei rebellierenden Parteien gemeinsam unter der Bezeichnung „Geisenheimer Gemeinschaft" gegen die SPD, der Braden angehörte, und errangen die absolute Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung. Der Bürgermeister spielte im Wahlkampf eine dubiose Rolle, meinte die SPD. Er habe die Geisenheimer Gemeinschaft gegen seine eigene Partei unterstützt, warfen ihm seine Genossen vor. Unmittelbar im Anschluss an die Nachwahl schloss die SPD daraufhin Braden aus ihren Reihen aus.

1964 und 1965 gab es neuen Streit, als Braden eine Baracke für Obdachlose partout an einer Stelle errichten lassen wollte, die die Stadtverordnetenversammlung dafür tabu erklärt hatte. Falsche oder unzureichende Informationen über Verhandlungen mit der Forschungsanstalt wegen des Ankaufs des so genannten Rebmuttergartens, Verschleppung der Etatberatungen und Verhandlungen mit Behörden, bei denen Kommissionen der städtischen Gremien nicht beteiligt worden waren, führten schließlich dazu, dass das Parlament dem Bürgermeister die Missbilligung aussprach. Mit dem Hinweis, er stehe das nervlich nicht durch, verließ Braden mitten in der Etatberatung 1965 die Stadtverordnetenversammlung, eine Taktik, die er in späteren Jahren noch mehrfach in Ausschuss- und Magistratssitzungen praktizierte. Für Eingeweihte war deshalb klar, dass Konrad Braden nach Ablauf seiner bis Mitte 1972 laufenden Amtszeit und damit 24jähriger Tätigkeit als Geisenheimer Bürgermeister in den Ruhestand gehen würde.

Die Eskapaden Bradens täuschen aber nicht darüber hinweg, dass dessen uneingeschränktes politische Ziel die Aufwertung Geisenheims als Zentrum des Rheingaus gewesen ist. So propagierte er 1968 die enge Zusammenarbeit der vier Städte im Rhein-Nahe-Viereck - Ingelheim, Bingen, Rüdesheim und Geisenheim - das durch den Bau der Geisenheimer Rheinbrücke eng zusammenwachsen werde und einen gewichtigen Gegenpol zu Wiesbaden und Mainz darstellen könne. Diese Rheinbrücke, wichtigste Voraussetzung für dieses Regional-Viereck, sollte noch zusätzlich durch eine „Rhein-Ernstbachstraße" aufgewertet werden. Eine direkte Verbindung über diese Straße, eine Verkehrsverbindung in den Untertaunus mit Anschluss an die Autobahn bei Idstein, hatte in jener Zeit der Bonner Städteplaner Professor Edmund Gassner propagiert, der enger Berater auch der Stadt Eltville beim Bau der Umgehungsstraße gewesen war.

Im Herbst 1969 versuchte Braden deshalb, außer in Gesprächen mit den beiden Städten auf der anderen Seite des Rheins, auch mit seinen Rheingauer Nachbarn für ein Mittelzentrum in der anstehenden Gebietsreform zu werben, das von Oestrich bis Rüdesheim reichen sollte. So startete er eine „Städte-Initiative", bei der allen Kommunen von Oestrich bis Lorchhausen der Vorschlag unterbreitet worden war, Arbeitsgemeinschaften nach dem Muster jener zu bilden, die Geisenheim bereits erfolgreich mit Rüdesheim und Winkel betrieb. Alle Kommunen, außer Lorch und Oestrich, hätten den Vorschlag positiv aufgenommen, konnte der Bürgermeister bald darauf dem Geisenheimer Magistrat berichten.

Braden ersann im Februar 1970 auch den Plan eines gemeinsamen Hallenbads mit Rüdesheim und war bitter enttäuscht, als die Nachbarstadt darauf nicht einging. Zwei Monate später, im April 1970, legte er den Plan für eine ganz neue Rheingauer Stadt vor, deren Zentrum am Brückenkopf der Rheinbrücke entstehen und zunächst Johannisberg, Geisenheim und Winkel umfassen sollte. Kurios aus heutiger Sicht: Die Ausweisung zusätzlicher Gewerbeflächen hielt Braden nicht für sinnvoll. Geisenheim besitze bereits eine gewisse Sättigung an Industriebetrieben und deshalb sei zu befürchten, dass für neue Unternehmen keine Arbeitskräfte zu finden seien. Die Johannisberger rannten deshalb offene Türen ein, als sie im März 1971 wegen einer über das bisherige Maß hinausgehenden Zusammenarbeit anklopften. Braden, gewiefter Verwaltungsfachmann, machte von Anfang an deutlich, dass ein solches Zusammengehen im Grunde nur ein Anfang sein könne, denn eine moderne Verwaltung erfordere, um wirklich rationell arbeiten zu können, mindesten 20 000 Einwohner. Deshalb hielt er auch eine Großgemeinde Oestrich-Winkel für auf die Dauer nicht lebensfähig. Sie sei deshalb nur eine Illusion. Noch im Oktober 1971, als die Fusion mit Johannisberg beschlossene Sache war, die Winkeler SPD sich aber von ihren Plänen einer Fusion mit Geisenheim abgewendet hatte, startete Braden einen letzten Versuch, zu einer größeren Lösung zu kommen. Er bot an, die Neuentstehende Stadt Rheingau zu nennen. Er konnte darauf verweisen, dass ihn bei seiner Initiative kein persönlicher Ehrgeiz leitete, denn da stand schon fest, dass er sich nicht als Bürgermeister des neuen Gemeinwesens bewerben würde. Dass der neuerliche Vorstoß Bradens kaum noch einen Einfluss auf den Zuschnitt des Rheingaus in der Phase der freiwilligen Zusammenschlüsse haben würde, war allen Beteiligten klar. Denn die Frist für solche Fusionen endete am 31. Dezember 1971 und war damit so gut wie abgelaufen. Der gewiefte Taktiker Braden stellte bereits die Weichen für die folgende gesetzliche Neugliederung des sich abzeichnenden Rheingau-Taunus-Kreises.

 
     
 
     
Auszug aus dem Buch: „Als der Edelmann die Jungfer nahm“ von Klaus Peter Dietel – erschienen im ASS-Verlag Rüdesheim