Kurort
| |||
© Rudolf Edinger / Dr. Wilhelm Geberth | Zuerst veröffentlicht im Jahrbuch 2004 des Rheingau-Taunus-Kreises | ||
Das Kur- und Badewesen, dessen Anfänge sich bis in die Römerzeit zurückverfolgen lassen, erlebte im 18. und 19. Jahrhundert seine Blütezeit. Was heute kaum noch jemand weiß: Johannisberg war im 19. Jahrhundert ebenfalls ein Kurort und wurde bis kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts auch als "Bad Johannisberg" bezeichnet. Beginnend mit den ersten Kaltwasser-Heilbehandlungen durch den Landwirt Vinzenz Prießnitz im Jahre 1826 entwickelte sich neben der bekannten "balneologischen" Wasseranwendung der Thermalbadeorte die so genannte "hydrotherapeutische" Anwendung des Wassers, bei der es nicht auf dessen Wärme und chemische Zusammensetzung, sondern auf den physikalischen Reiz des nassen und kalten Elementes auf den Körper des Menschen ankam. Eine weitreichende gesundheitliche und soziale Reform-Bewegung nahm ihren Anfang durch wasserheilkundliche Vereinsgründungen, Herausgabe entsprechender Zeitschriften und durch Bau- und Betreibung von Wasser- und Naturheilanstalten. Nach Prießnitz entdeckten auch andere die altbekannte Heilkraft des kalten Wassers wieder neu und propagierten, wie insbesondere auch Pfarrer Kneipp, dessen Wirken 1855 begann, in den nächsten Jahrzehnten die Hydrotherapie. |
| ||
| |||
Da sich das kalte Wasser des alten Johannisberger Wäschbrunnens hervorragend für die innere und äußerliche Anwendung eignete und die sehr gute Lage des nicht zuletzt durch die Rheinromantik bekannten Johannisberges Profit versprachen, fanden sich einige Investoren und so kam es hier im Jahr 1856 zur Gründung der "Wasserheilanstalt-Gesellschaft zu Johannisberg". Das Stammkapital wurde durch die Ausgabe von 48 Aktien zu je 500 Gulden gedeckt. Die Lage in der Nähe des Rheins mit seinen neuen Dampfschiffahrtsverbindungen und die gute Verkehrsanbindung durch die inzwischen schon bis Geisenheim gebaute Bahnstrecke aus Wiesbaden, waren gute äußere Bedingungen für die Anziehung von Kurgästen, die von der Bahnstation mit der Kutsche abgeholt werden konnten. Die Johannisberger Gesellschaft ließ ein prächtiges Kurhaus in bester Lage mit zunächst 13 Gästezimmern über dem Ortsteil "Grund" erbauen. Weitere Zimmer standen den Gästen auch in den Johannisberger Gasthäusern zur Verfügung. Am 28. Oktober 1857 erteilt der Herzog von Nassau eine Konzession für die "Heilanstalt Johannisberg" in der neben einer Kaltwasserbehandlung, auch warme Bäder wie Dampf- und Kiefernnadelbäder sowie Heilgymnastik und Traubenkuren und in späteren Jahren auch die Elektrotherapie angeboten wurden. Erster med. Leiter war der Medizinalassistent Dr. Gustav Lange. Ein Artikel in der Balneologischen Zeitung von 1857 machte die Fachwelt und das Publikum auf die vielseitigen Heilmethoden der neuen Kur-Anstalt aufmerksam. Dr. Lange wechselte 1866 nach Bad Ems und Dr. Alexander Marc aus Arolsen wurde sein Nachfolger. War das Kurpublikum früherer Jahre zunächst noch weitgehend adlig und lebte in einer exklusiven, eigenen Welt, so spielten soziale Schranken in der Kurgesellschaft nach Mitte des 19. Jahrhunderts kaum noch eine Rolle. Dementsprechend war bald auch das ???bürgerliche Element“ zahlenmäßig überlegen. Ein Bericht von 1872 erklärte, das hier besonders die Frauen der gebildeten Bürgerkreise kurten. Aber auch z.B. der Erbprinz von Mecklenburg-Schwerin habe hier einen Teil des Sommers mit seinem kleinen Hofstaat verbracht und wurde in dieser Zeit von seinen Eltern besucht. So erfreute sich die Heilanstalt in Bad Johannisberg trotz der Konkurrenz vieler älterer und renommierter Wasserheilanstalten im Umkreis ständig wachsender Besucherzahlen. Durch das im Herzogtum Nassau weitgehend verstaatlichte Kurwesen, war die ???Badesaison“ übrigens überall, mit der Ausnahme von Wiesbaden, auf das Sommerhalbjahr beschränkt. Zu Werbezwecken wurden von Dr. Marc 1874 eigens ein ???Prospect“ gedruckt. Im gleichen Jahr wurden als Maximum aller Jahre 325 Kurgäste gezählt. Im Frühjahr 1877 ging die Gesellschaft nach einem Umbau in den Besitz des Konsortiums "Klein u. Cie" über und die medizinische Leitung wechselte abermals. Dr. Marc ging nach Bad Wildungen und wurde dort als Spezialist für Blasenstein-Operationen berühmt. Dessen Nachfolger Dr. Heinrich P. Caster brachte ebenfalls ein Werbeheft heraus. Am 14. Oktober 1878 besuchte der Redakteur einer in Dresden verlegten Fachzeitschrift die inzwischen von Dr. Spieseke geleitete Johannisberger Heilanstalt und schwärmte von deren Lage und Wasserqualität. Die Verpflegung kostete damals M. 4,50 am Tag, das Zimmer M. 1-4 je nach der Wahl, der Arzt wöchentlich M. 4,50 (erste Konsultation M. 10), die Kaltwasseranwendungen wöchentlich M. 5; alle anderen Maßnahmen wurden separat berechnet. Nach Ende der Kursaison 1878 ruhte der Kurbetrieb bis zum Herbst 1880. Neue Wege Ab dem Herbst 1880 wurde die Kaltwasserheilanstalt dann unter der Leitung des Nervenarztes Dr. Ewald Hecker als "Kuranstalt für Nervenleidende mit Ausnahme von Geisteskranken" betrieben. Viele körperliche Funktionsstörungen waren inzwischen als nervöse Störungen erkannt worden, wodurch die Spezialisierung einzelner Natur-Heilanstalten zu Nervenheilanstalten erklärlich ist. Dr. Hecker gab wissenschaftliche Veröffentlichungen heraus und stand mit anderen fachlichen Größen in Kontakt, wie aus der Medizingeschichte und aus Widmungen bekannt ist, die in seinem Nachlass gefunden wurden.
Elektrotherapie Wie andere Ärzte vertrat auch Dr. Hecker die Überzeugung, dass es die Folgen der Industrialisierung waren, welche die Menschen nervös und erholungsbedürftig machten. Das Nervensystem wurde mit einer elektrischen Batterie verglichen, die man bei Energieverlust von Zeit zu Zeit "aufladen" müsse. Starke Erschöpfung und Funktionsschwächen des Verdauungsapparats, der Herzfunktion und der Sexualität waren wichtige Symptome für die Diagnose der Nervenschwäche. Die Elektrotherapie, erstmals bereits 1730 angewandt, wurde nach einer amerikanischen Veröffentlichung von 1867 in modifizierter Weise in der Wanne, in Teilbädern oder als lokale Anwendung zunehmend beliebt und zur Anwendung gebracht.
Massage und Heilgymnastik Die Massage als wieder entdecktes uraltes Volksmittel entsprach im späten 19. Jahrhundert dem neuen Verständnis von Körper orientierter Behandlung insbesondere auch in der Behandlung nervöser Störungen. Man wollte den erschlafften Nerven- und Muskelzustand dadurch wieder frisches Leben geben, indem der träge, teilweise ins Stocken geratene Blutumlauf erneut Beschleunigt und auf diese Weise eine erhöhte Tätigkeit des Stoffwechsels herbei geführt wurde. Das Streichen und Kneten und schließlich ein (auch 'Hacken' genanntes) Beklopfen und Beklatschen der Haut und der Muskeln durfte von 5 bis auf 15 Minuten ausgedehnt werden, je nach dem vorhandenen Kräftevorrat des Kranken. Mancherorts wurde die Massage auch in Form leichter "magnetischer Streichungen" durchgeführt. Das "Magnetisieren" war umstritten. Der deutsche Arzt Franz Anton Mesmer (1734-1815) hatte es aufgebracht. Später wurde der "Mesmerismus" zur Hypnose fortentwickelt, wovon viele Kranke bis zum heutigen Tage profitieren. Übungen zur Haus- und Zimmergymnastik, sowie allerlei Übungsgruppen zur körperlichen Ertüchtigung waren in Heilanstalten üblich. Die Wirkungen der Leibesübungen in ihrem Einflusse auf den Stoffwechsel im allgemeinen, auf die Muskulatur, die Atmung und das Nervensystem im besonderen wurden propagiert.
Die Traubenkur Sie bestand in dem täglichen, regelmäßigen Genuss von 1-6 Kilogramm süßer Trauben unter Ausschluss der Schalen. Je nach gewünschtem Effekt - mal abführend, mal kräftigend - wurden die Trauben teils ausschließlich, teils zusätzlich zur Nahrung eingenommen. Die Hälfte der Trauben wurde gewöhnlich nüchtern, eine Stunde vor dem Frühstück genossen, ¼ vor dem Mittagessen und das letzte Viertel zwei Stunden vor dem Nachtmahl. Diese Diät fand ihre Anwendung bei Hämorrhoiden, Stuhlverstopfung, Hypochondrie, Blutstauung in den Lungen und Fettsucht. Die Anmerkung scheint berechtigt, dass auch bei dieser Kur der klimatische Charakter des Traubenkurortes vieles, vielleicht das Meiste leistet. Wegen Neu- und Umbauten in Johannisberg siedelte der Kurbetrieb vom Oktober 1887 bis April 1888 in die Schweiz über und beschränkte die Patientenzahl im Folgejahr auf 40 Personen, die hauptsächlich wegen Neurasthenie (Nervenschwäche) und Hysterie behandelt wurden.
Ende des Kurbetriebes 1891 verlegte Hecker die Anstalt nach Wiesbaden und benutzte deshalb die Johannisberger Gebäude letztmals während der Sommermonate 1892 und 1893. Um die Jahrhundertwende schlief der Kurbetrieb in Bad Johannisberg dann ganz ein, während anderswo die kurmäßige Behandlung nervöser Störungen bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges unverändert in Blute stand. Alte Johannisberger nennen noch heute die Lokalität der früheren Kaltwasserheilanstalt das "Bad". Der alte Wäschbrunnen und die sich heute hier anschließende Straße "Badpfad", von den Einheimischen "Baadpeedche" genannt, erinnern noch heute an die "glorreichen Zeiten" des einstigen Kurorts Johannisberg. | |||
Verzeichnete Kurgäste bzw. Patienten in "Bad Johannisberg" | |||
1870 | 78 | ||
1871 | über 200 | ||
1873 | 325 | ||
1874 | 298 | ||
1875 | 271 | ||
1877 | 63 | ||
1878 | 99 | ||
1881 | 42 | ||
1882 | 63 | ||
1883 | 86 | ||
1884 | 68 | ||
1885 | 69 | ||
1886 | 84 | ||
1888 | 32 | ||
1889 | 29 | ||
1890 | 39 | ||
Der Orden der Benediktinerinnen kaufte das Gelände und das ehemalige Kurhaus. 1920 bezogen Ordensfrauen der Benediktinerinnen das frühere Sanatorium und ließen im Jahr 1929 eine Kirche erbauen. Das ehemalige Kurhaus wurde ein Teil des neuen "Kloster Johannisberg".
| |||
|
© Rudolf Edinger - Förderkreis Weindorf Johannisberg e.V. |